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Alles bleibt anders – Ein Jahresrückblick aus der Sicht eines ehrenamtlichen Trainers

„Wenn diese Zeilen gelesen werden, ist der zweite Lockdown wahrscheinlich noch aktuell.“ So in etwa sollte mein Bericht über die A-Jugendlichen der Hockeyabteilung für das Vereinsheft 2020 beginnen. Da wir seit einigen Jahren jedoch mehr Wert auf Marketing-Bilder legen, als auf langatmige Berichte, erscheint mein persönlicher, sportlicher Jahresrückblick jetzt auf der Homepage des Vereins

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Unser letzter Spieltag der laufenden Hallensaison, es traten die Jungs in Bemerode bei Hannover an, war unser erfolgreichster in der Saison. Der Hauptunterschied zu den Mannschaften reiner Hockeyvereine ist unsere dünne Personaldecke, und dann hatten wir ausgerechnet drei Spiele an einem Tag zu absolvieren. An diesem Sonntag jedoch zahlte sich das fleißige und gezielte Training der vergangenen Wochen endlich aus und durch zwei Siege und ein Unentschieden fuhr man mit sieben Punkten im Gepäck zufrieden nach Hause. Bereits jetzt begann die Vorfreude auf den letzten, damals noch so eingeplanten, Heimspieltag in Helmstedt, zu dem es aus bekannten Gründen nicht mehr kam.

 

Bei den Mädchen lief es etwas unglücklicher, denn die beiden Gastvereine sind zum letzten Spieltag am 1. März in Helmstedt gar nicht mehr angetreten. Das ist umso bitterer, weil die Mädels am vorangegangen Spieltag in Braunschwieg die mentale Kurve endlich gekriegt hatten. Die haben einen extrem langen Anlauf gebraucht, um aus ihrer Wolke herauszufinden und endlich Kampf- und Siegeswille auf die Platte zu bringen. Ich bin sicher, am letzten Spieltag in Helmstedt hätten sie das auch deutlich gezeigt. Den Beweis bleibe ich bis auf weiteres schuldig.

Mit den Jungs in Bemerode gab es bereits die ersten neuen Verhaltensregeln, welche wir uns selber auferlegt haben. Keine Begrüßung der gegnerischen Trainer per Handschlag, worauf es seltsame Reaktionen gab (für mich war das total selbstverständlich). Es gab auch kein Abklatschen der Jungs mit dem Gegner nach den Spielen. Seit dem Tag habe ich persönlich bis heute genau zwei Menschen zur Begrüßung und Verabschiedung die Hand gegeben (welche nicht in unserem dreiköpfigen Haushalt leben).

 

Und dann kam er also, der berüchtigte Freitag der 13. März: Stillstand, Schulen zu, Hallen zu, Lockdown, Ende der Saison, keine Punktspieltage mehr in Helmstedt, Training wird eingestellt. Die Frage, für welchen Zeitraum, hat sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestellt. Wichtiger als Sport war jetzt selbstverständlich die Organisation des Lebens in den eigenen Familien.

So vergingen die ersten Wochen im Lockdown und irgendwann trat auch der Gedanke an den Sport wieder mehr in den Vordergrund. Das kann und darf doch so ohne gemeinsamen Sport nicht ewig weitergehen. Neben dem Aspekt der ausgebliebenen Bewegung fehlte doch auch noch die so immens wichtige soziale Komponente. Kein gemeinsames Training und keine Gelegenheit, sich mit anderen zu messen oder auszutauschen, da würde auf Dauer etwas sehr wichtiges fehlen.

 

Der Antrieb, sich einmal hinzusetzen und Gedanken zu machen, wie das weitergehen kann, kam durch eine WhatsApp-Statusmeldung. Dieses Bild werde ich nicht vergessen: ein junger Mensch, in sich gekehrt, ohne Antrieb und verzweifelt. Der Untertitel lautete damals sinngemäß  „heute fehlt einfach alles“. Ich fühlte mich in diesem Moment als Trainer angesprochen und gefordert. Wie bringe ich den Hockeysport wieder in den Alltag meiner Trainingsgruppen. Die Grundidee ist für heutige Zeiten banal einfach und wurde seit dem Frühjahr auch so in vielen anderen Sportarten praktiziert: Online-Angebote.

 

Ich stellte mir zuerst die Frage, wie kann ein heranwachsender Jugendlicher ein wenig Hockey im privaten Umfeld praktizieren. Na klar, er braucht Trainingsmaterial und im besten Fall eine Grünfläche, Größe egal. Die hat aber nicht jeder und an Trainingsmaterial mangelte es ebenfalls. Wie könnte die Animation, den Schläger und die Kugel in die Hand zu nehmen, aussehen. Gut, das ist bei den Kindern oder Jugendlichen heute eher das kleinere Problem, das geht über die sozialen Medien. Also, online gegangen, fehlendes Material bestellt, WhatsApp-Gruppe mit den Trainingsgruppen gegründet, Trainingsmaterial bei einer Autofahrt durch den Landkreis verteilt, im eigenen Garten kleine Übungsanleitungen in kurzen Videos festgehalten und mit den Jugendlichen geteilt. Die habe ich dann aufgefordert, selber die Durchführung der Übungen als Video festzuhalten und in der Gruppe zu teilen. Dafür gab es Punkte und so entstand wenigstens ein kleiner Wettkampf. Diese Geschichte durfte ich dankenswerterweise auch im neuen Format des Helmstedter Sonntag erzählen, mehr Werbung für das eigene Hobby geht nicht, nochmals besten Dank dafür.

 

Wenig später wurden die ersten Lockerungen im Lockdown angekündigt (witzig, beginnt beides mit „Lock“). Im Mai bekamen wir dann unter Auflagen die Erlaubnis für den Trainingseinstieg unter freiem Himmel. Die Bedingung war die Vorlage und strikte Einhaltung eines Hygienekonzeptes. Vor, während und nach dem Training mussten die Einhaltung von Abstand sowie die Desinfektion gemeinsam genutzter Trainingsgeräte eingehalten werden. Kein Problem, das bekommen wir hin. Größter Nutznießer des Lockdowns war übrigens der Rasen im Maschstadion. Der wurde nämlich weiterhin, auch in der Zeit des Stillstands, gehegt und gepflegt. Wir hatten also zum Wiedereinstieg fast perfekte Bedingungen. Für die hockeyfremden Leser sei hier der Hinweis erlaubt, dass modernes Hockey ausschließlich auf Kunstrasen stattfindet. Einen Greenkeeper für ein reines Hockey-Naturrasenfeld leisten ich nur noch wenige Vereine, also in erster Linie auch nur reine Hockeyvereine. Habe ich selber in Hamburg gesehen, zwei astreine Naturrasenplätze, sahen aus wie die Greens eines Golfplatzes, und zwar dauerhaft.

 

Es folgten in den sich anschließenden Wochen bis zu den Sommerferien zwei mal neun minutiös durchgeplante Trainingseinheiten an neun Trainingstagen. Die Trainingszeiten pro Mannschaft wurden reduziert, die Abläufe vor, während und nach dem Training akribisch geplant und diszipliniert durchgeführt. Vor allem die vielen Trainingsteilnehmer legten eine beeindruckende Disziplin an den Tag, das war schön mit anzusehen. Da haben die Jungs und Mädels sogar viel Spaß beim Seilspringen und Schlägerhüpfen gehabt. Die Schwerpunkte lagen vor den Ferien auf Laufschule und Koordination, sehr erfolgreich mit Unterstützung von Sebbl, Jonas und Max praktiziert.

 

Kurz vor den Sommerferien kam dann als weitere Lockerung die Freigabe für Kontaktspiel. Was tun, ausnutzen oder vernünftigerweise weiterhin ohne Kontakt und mit Abstand trainieren? Wir haben uns für den letzten Trainingstag für das obligatorische Abschlussspiel entschieden und das hat allen Beteiligten riesigen Spaß gemacht.

 

Nach den Sommerferien starteten wir unfreiwillig mit dem Hallentraining, und das bereits am 28. August. Den Gerüchten nach sind einige Sportler des Vereins der Meinung gewesen, sie müssten die Messpunkte im Stadion entfernen, welche von einer Fachfirma für die Sanierung der Laufbahn gesetzt wurden. Danke dafür, denn nach Wiederholung der Aktion hat die Stadt Helmstedt zur Belohnung das Stadion für den gesamten Zeitraum der Maßnahmen bis Ende September gesperrt.

 

Also was tun nach den Sommerferien, auf den Platz im Stadion konnten wir jedenfalls nicht. Die übrigen Plätze sind für diese Altersklasse nicht geeignet und zu gefährlich (zu hohes Verletzungsrisiko). Kurzum sind wir frühzeitig in die Halle umgesiedelt und begannen mit der Saisonvorbereitung. Komisches Gefühl, diese Zeilen zu schreiben, denn ob es eine Hallensaison geben kann, war zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Wir mussten uns nun hauptsächlich mit Begrifflichkeiten wie Oberflächendesinfektion, Hygienekonzept oder regelmäßige Meldung der Trainingsteilnehmer und Zuschauer an den Verein beschäftigen. Machen wir alles, um so lange wie möglich das gemeinsame Training durchführen zu können.

Es ging langsam auf die Herbstferien zu, in denen wir ebenfalls Training anbieten wollten. Was man Mitte des Jahres als rational denkender Mensch hätte vermuten können, trat nun leider ein: steigende Fallzahlen. Irgendwie schienen es nach dem wirklich tollen und entspannten Sommer alle verdrängt zu haben: die zweite Welle wird kommen, sie nimmt gerade einen mächtigen Anlauf. Ich habe das Training daraufhin von mir aus eingestellt, um die Entwicklung nach Schulbeginn Ende Oktober abzuwarten, der Rest ist Geschichte. Damit hat unsere letzte Trainingseinheit am 9. Oktober 2020 stattgefunden, das ist jetzt bereits satte drei Monate her. Wie bitter ist das denn!

 

Wir haben in unseren Trainingsgruppen auch das ein oder andere Ritual. Zum Beispiel vor längeren Pausen wie Weihnachten in großer Runde kleine Präsente zu verteilen. Das war für verschiedenste Leistungen wie fleißige Trainingsteilnahme, besonders hervorstechende sportliche Entwicklungen, usw. Belohnung der Trainingsteilnahme fiel aus, alle waren nach dem ersten Lockdown sehr fleißig dabei. Besondere Entwicklungen konnten nicht bewertet werden und die große Runde durfte ebenfalls nicht stattfinden. Also wurden kleine Präsente für jeden organisiert und ich fuhr am 4. Advent so wie im Frühjahr meine Landkreisrunde und habe fast alle persönlich angetroffen.

 

Wenn diese Zeilen gelesen werden, befinden wir uns in einem nicht enden wollenden Lockdown in dem Mannschaften im Breitensportbereich erneut nicht gemeinsam auf einem Platz oder in einer Halle trainieren dürfen, Spiele gegen andere Mannschaften sind völlig ausgeschlossen. Das ist ein Déjà-vu, an dem Punkt waren wir schon einmal. Genau, nämlich im März 2020, jetzt geht das Ganze wieder von vorne los. Ich darf mir Gedanken machen, wie ich den Hockeysport in den Alltag der Trainingsgruppen zurückbringe, und das bei nicht gerade angenehmen Außentemperaturen.

Alles bleibt anders, trotzdem mache ich für mich einen Strich drunter, 2020 ist für mich hiermit Geschichte. Wir haben uns im abgelaufenen Jahr einigen Herausforderungen stellen müssen und die haben wir angenommen. Für 2021 wünsche ich uns die alten Herausforderungen zurück: gegnerische Mannschaften auf dem Platz. Und ich wünsche mir für uns alle ganz besonders die Möglichkeit zu regelmäßigen Frisörbesuchen.

 

Andreas Jakubowicz im Dezember 2020

 

P.S.: Mittlerweile ist der Lockdown verschärft und verlängert worden, ein gemeinsames Training vor Ostern scheint ausgeschlossen. Also wieder von vorne anfangen und Trainingseinheiten per Videobotschaften verteilen. Bin gespannt, wie unsere Personaldecke in der kommenden Hallensaison 2021/2022 aussehen wird. Ich fordere hiermit alle Trainer und Verantwortliche auf, Wege zu suchen um insbesondere die Kinder und Jugendliche in dieser Zeit sportlich irgendwie zu beschäftigen. Sportart und Vereinszugehörigkeit spielen dabei übrigens keine Rolle. Die heute heranwachsende Generation wird sonst nicht ohne Folgen aus dieser Krise gehen.

 

Andreas Jakubowicz im Januar 2021

P.P.S.: wenn ich über „den Jugendlichen“ oder von „jedem“ berichte, sind sowohl Männlein als auch Weiblein gemeint …